About the album
German Youth Jazz Orchestra: Some might link this term with a stomping ground for highly talented prodigies of pigheaded kids who had got it into their heads to go their own way into jazz despite all good advice to do “something reasonable” instead. For some, it sounded like the conventional, big orchestral swing of Basie or Ellington, not too complicated so that everyone could join, but always suitable to let it all hang out in an explosive horn section. This latest production, “Groove and the Abstract Truth,” has quite a pretentious title that both reminds one of the great moments of modern arranging skills, but is also deeply rooted in the present. This collection of pieces moves on all stylistic demarcation lines. It aims to explore the forces that are released when hip groove meets the complex musical language of modern jazz composers. No orchestra could imaginably be more predestined for this bold adventure than BuJazzO.
Bundesjugendjazzorchester: Möglicherweise verbanden einige diesen Terminus mal mit einem Tummelplatz für hochbegabte Wunderkinder oder Dickschädel, die es sich partout in den Kopf gesetzt hatten, ihren Weg im Jazz zu gehen, aller guten Ratschläge zum Trotz, lieber „etwas Vernünftiges“ zu lernen. Für manche klang es nach biederem, großorchestralen Swing der Marke Basie, Ellington oder Glenn Miller, nicht zu kompliziert, damit jeder mitkommen konnte, aber allemal dafür geeignet, um im krachenden Bläsersatz einmal so richtig die Sau rauszulassen. Alles getreu der Devise: Sie wollen doch nur spielen! Selbst wenn es gewisse Tendenzen tatsächlich einmal gab, so haben sie längst einen Platz in der Asservatenkammer der überkommenen Vorurteile gefunden.
Denn das Bundesjugendjazzorchester – kurz BuJazzO – nimmt schon seit seiner Gründung durch Peter Herbolzheimer 1988 für sich in Anspruch, herausragenden jungen Musikerinnen und Musikern aus Deutschland eine eigenständige Stimme zu geben. Im gewissen Sinn spiegelt das offizielle Jugendjazzorchester der Bundesrepublik Deutschland auch den jeweiligen musikalischen Zeitgeist wider, sei es unter der Leitung von Jiggs Whigham oder aktuell unter Niels Klein. Die Ansprüche bewegen sich seit fast 30 Jahren auf allerhöchstem Niveau, weshalb das BuJazzO als die Talentschmiede des Jazz in Deutschland sowie als Startrampe für eine Reihe bekannter Namen gilt und eine Reihe hochkarätiger Auszeichnungen wie den Deutschen Musikpreis (1997), den WDR Jazzpreis (2010) oder den ECHO Jazz (2012) einheimste.
Die neueste Produktion aus dem Hause „BuJazzO“ trägt mit „Groove And The Abstract Truth“ einen durchaus bedeutungsschweren Titel, der sowohl an eine der Sternstunden der modernen Arrangierkunst erinnert, aber auch tief in der Gegenwart verankert ist. Als Oliver Nelson 1961 seine Jahrhundertwerk „Blues And The Abstract Truth“ (Impulse!) veröffentlichte, da hob er sämtliche bis dato gültigen Parameter des Big Band Jazz aus den Angeln. Dem Tenor- und Altsaxofonisten ging es um nichts anderes, als um die Erweiterung seiner persönlichen Grenzen, um eine neue künstlerische Identität. Parallelen zu 2016? „Wie in keiner anderen musikalischen Sprache schließen sich von je her im Jazz aus dem Moment entstehende ungefilterte Emotionen und komplexe oder gar abstrakte musikalische Strukturen nicht aus, sondern verbinden sich zu einem größeren Ganzen“, schreibt Niels Klein in den Linernotes. Während Oliver Nelson damals Blues, afroamerikanische Rhythmen und den modalen Jazz als Stilmittel verwendete, fließen heute in die improvisierte Musik alle möglichen Beats, Sounds, Grooves aus der aktuellen Pop-, Rock- sowie der elektronischen Musik ein. Auf „Groove And The Abstract Truth“ entsteht daraus eine Ansammlung von Stücken, die sich auf allen stilistischen Demarkationslinien bewegen. Es soll die Kräfte erforschen, die freigesetzt werden, wenn hipper Groove auf die komplexe Tonsprache moderner Jazzkomponisten trifft.
Kein Klangkörper wäre wahrscheinlich für dieses kühne Abenteuer prädestinierter als das BuJazzO. Mehr denn je entpuppt er sich heute als Klanglabor, in dem sich hungrige, schlaue und wagemutige Musiker tummeln, die wenig Lust auf die tausendste Blaupause eines bekannten Arrangements haben, sondern sich vielmehr voller Leidenschaft auf die Suche nach dem Unbekannten stürzen. So finden sich auf dem Album Werke von Komponisten wie Kalle Kalima, dem finnischen Anarcho-Gitarristen, die auf den ersten Eindruck hin nicht unbedingt zu einer Big Band, sondern eher zu kleiner Formationen passen, aber dafür einen durch und durch eigenen Charakter besitzen. Der Reiz liegt darin, durch raffinierte Arrangements die Originalität, die Abwegigkeit und die Spannung auf den größeren Klangkörper zu transferieren. Niels Klein gelingt dies auf ebenso verblüffende wie überzeugende Weise, wobei er dem Vokalensemble, das schon seit der Herbolzheimer-Ära zur festen Ausstattung des BuJazzO gehört, dabei eine Schlüsselrolle einräumt.
„Groove And The Abstract Truth“ sei ein Programm, schreibt Niels Klein, „von dem wir hoffen, dass es ebenso in die Zukunft blickt, so wie es schon seinerzeit Oliver Nelson getan hat.“ Das würde aber auch in der Endkonsequenz bedeuten: Ein Meilenstein des zeitgemäßen, europäischen Jazz. Warum eigentlich nicht?